AVIVA-Berlin >
Kunst + Kultur
AVIVA-BERLIN.de im November 2024 -
Beitrag vom 25.10.2010
Wir sind die Nacht. Kinostart: 28. Oktober 2010
Britta Meyer
Regisseur Dennis Gansel bringt rechtzeitig zu Halloween einen düster-glamourösen Thriller in die deutschen Kinos, der eine der beliebtesten Figuren des Gruselfilms aus ihren natürlichen...
... Lebensräumen - Transsylvanien, New Orleans und New York - holt: Vampire in Berlin – wer hätte das gedacht?
Die heruntergekommene junge Taschendiebin Lena (Karoline Herfurth) schlägt sich mehr schlecht als recht durchs Großstadtleben, bis sie eines Nachts im falschen Club auf Beutetour geht und dabei der falschen Frau ins Auge fällt. Louise (Nina Hoss) ist ein mehrere hundert Jahre alter Vampir und glaubt, in Lena endlich ihre große Liebe gefunden zu haben. Sie macht sie an Ort und Stelle zu einer der ihren und zum neuen Mitglied ihrer kleinen Familie untoter Frauen: der elegant-depressiven Charlotte (Jennifer Ulrich) und dem durchgeknallten Ravergirl Nora (Anna Fischer).
Die Unsterblichkeit besteht für Louise und ihre Gefolgschaft aus Faulenzen im Fünf-Sterne-Hotel, spätabendlichen Shoppingtouren in der Galeria Kaufhof, Wettrennen im Lamborghini und durchtanzten Partynächten mitsamt rauen Mengen jeder vorstellbaren Droge. Kein Wunder, dass dies nach ein, zwei Dekaden für manche langsam seinen Reiz einbüßen kann. Die Vorteile der Unmenschlichkeit sind eher flüchtiger Natur – die Nachteile werden ausgiebig und schmerzhaft gezeichnet. Die eine hat Sehnsucht nach der zurückgelassenen Familie, die andere wacht neben einem versehentlich getöteten Liebhaber auf und Louises Besessenheit von der Idee, den einen Menschen zu finden, der sie in alle Ewigkeit glücklich machen wird, ist serielle Monogamie in ihrer extremsten Form. Keine Sonne, keine (menschlichen) FreundInnen und auf lange Sicht erwartet eineN nur die Einsamkeit. Lenas Begeisterung für ihr sorgloses neues Luxusleben lässt schnell nach und außerdem wird sie von dem Kriminalkommissar Tom (Max Riemelt) gesucht...
"Aufräumen war noch nie unsere Stärke..."
Männliche Vampire gibt es nicht mehr – laut Louise waren sie alle "zu gierig und zu dumm", also starben sie entweder von allein, oder sie wurden von den Vampiretten kurzerhand umgebracht. Angesichts mehrerer Massaker, welche die weibliche Vampirclique innerhalb nur einer Woche in Berlin anrichtet, fragt frau sich allerdings, wer hier gierig und dumm ist und wie die achtlos mordende Truppe eigentlich so lange überlebt hat.
Obwohl die Vermarktung des Films sehr auf das abgenutzte Klischee des Vampirs als gefährliches Sexsymbol setzt ("Unsterblich. Unersättlich."), sind seine Figuren erfrischend pragmatisch gezeichnet und die vampirischen Züge der Protagonistinnen werden angenehmerweise nicht, wie im Genre sonst so oft, anmutig und hübsch raubkatzenhaft dargestellt. Sie ähneln eher Haifischen und benehmen sich hingebungsvoll monströs.
Der Film, der am 24. Oktober in den Kinos der Berliner Kulturbrauerei mit zahlreichen Gästen Premiere feierte, wurde von Oktober bis Dezember 2009 an Berliner Schauplätzen mit Wiedererkennungswert, wie dem Teufelsberg, dem Plänterwald, dem Tiergartentunnel und dem Stadtbad Lichtenberg, sowie in der Freizeitparkanlage Tropical Island gedreht.
Auszeichnung: Beim Sitges Filmfestival 2010 in Spanien gewann der Thriller den Special Jury Prize.
AVIVA-Fazit: "Wir sind die Nacht" lässt die ZuschauerInnen kurz und intensiv in ein imaginäres Berliner Nachtleben eintauchen, das sich nicht um Zeit, Geld oder Ethik schert, sondern nur für die Gier des Augenblicks lebt. Jede der Figuren des unmenschlichen Trios lässt charakterliche Tiefe erkennen, doch die Handlung ist viel zu sehr damit beschäftigt, hektisch voranzurauschen, um mehr als flüchtige Blicke auf ihr Innenleben zeigen zu können. So bleibt der Film ein schön anzusehender, aber oberflächlicher Trip durch eine gewalttätige nächtliche Glamourwelt und hinterlässt trotz beeindruckender Darstellerinnen ein unbefriedigtes Gesamtgefühl.
Aber immerhin glitzern Vampire hier nicht im Sonnenlicht, sondern sie brennen, wie sich das gehört.
Wir sind die Nacht
Deutschland, 2010
Regie: Dennis Gansel
DarstellerInnen: Karoline Herfurth, Nina Hoss, Jennifer Ulrich, Anna Fischer, Max Riemelt, Waléra Kanischtscheff u.a.
Verleih: Constantin Film
Produzent: Christian Becker
Drehbuch: Dennis Gansel, Jan Berger
Kamera: Torsten Breuer
Musik: Heiko Maile
FSK: 16 Jahre
Filmlänge: 100 Min.
Kinostart: 28. Oktober 2010
Weitere Informationen finden Sie auf der Seite des Films:
www.wir-sind-die-nacht.film.de
Weiterlesen auf Aviva-Berlin:
Das Parfum - Geschichte eines Mörders
Im Winter ein Jahr
Mein Name ist Bach
Die Welle
Mädchen, Mädchen 2
Interview mit Karoline Herfurth
Napola - Die Elite für den Führer
Die weisse Massai
ANONYMA – eine Frau in Berlin
Das Herz ist ein dunkler Wald
Jerichow
Yella